Die Bewegung
für ein soziales Grundeinkommen
in Spanien – „Renta Básica“
Im September 2004 kam es zu
einem
zweiten Treffen dieser Art von Organisationen mit einem explizit linken
Selbstverständnis. Verabschiedet wurde dort das „Zweite Manifest
von
Barcelona”.
Zweites
Manifest von Barcelona für das
BürgerInnenrechts auf ein Grundeinkommen
Seit dem Ersten Manifest sind
schon fünf Jahre vergangen. In dieser Zeit haben die
Aktivitäten zur
Bekanntmachung der Idee eines Grundeinkommens ein breites Echo
gefunden.
Inzwischen gehört dessen Einführung zum grundlegenden
Forderungskatalog vieler
Organisationen und Kollektive; andere dagegen haben auch weiterhin nur
ein
bruchstückhaftes Wissen über dieses Konzept. Einige Parteien
haben die
Forderung nach einem garantierten Grundeinkommen sogar zu einem ihrer
Wahlkampfslogans gemacht.
Die im Ersten Manifest ausgearbeitete
Konzeption des Grundein-kommens hat auch in eher konventionellen
politischen
Kreisen weite Verbreitung gefunden. Sie beruht auf einer sehr
konser-vativen
Philosophie über die Gesellschaft, das heißt dass dabei
sowohl das
(importierte) Konzept als auch die (liberale) ethische Rechtfertigung,
die jene
Kreise benutzen, ganz und gar nicht mit dem Paradigma und der Idee von
Gerechtigkeit, die unserem politischen Engagement zugrunde liegt,
übereinstimmen.
Bestimmte Konzeptionen des
Grundeinkommens sind unter vielen sozial orientieren Organisationen und
Einrichtungen populär geworden, weil sie völlig deren
karitativen Vorstellungen
entsprechen und mit ihren politischen Grundeinstellungen und sozialen
Praktiken
in Einklang stehen. Eine der Ambivalenzen des Ersten Manifests
bestand
darin, dass die Versammlung den jeweiligen politischen Kollektiven und
Organisationen die Freiheit ließ, ihrer Idee von Grundeinkommen
einen Namen zu
geben, der der eigenen Philosophie am ehesten entspricht.
Herausgekommen sind
dabei so widersprüchliche Bezeichungen wie “allgemeines
Einkommen”, “bedingungsloses
Einkommen”, “garantierte Grundsicherung”, “Sozialdividende”,
“Sozialeinkommen”,
“Soziallohn”, “Mindesteinkommen”, usw.
Aus unserem eigenen Denkansatz
heraus müssen wir dringend eine Definition und eine Rechfertigung
des sozialen
Grundein-kommens finden, die wirklich mit unserer antikapitalistischen
Position
übereinstimmt. Mit anderen Worten: Wir sind nun an einen
Reifepunkt angelangt,
der von uns einen eigenständigen Diskurs verlangt, welcher es uns
erlaubt, das
Übernommene und Liberale vieler Konzepte des Grundeinkommens zu
verlassen und
es durch ein antikapitalistisches Interpretationsmodell zu ersetzen.
Das
Grundeinkommen muss zu einem Instrument sozialer Veränderung hin
zu einer
Gesellschaft gemäß unserer politischen unnd sozialen
Vorstellungen und Utopien
werden.
Glücklicherweise helfen
uns die
verschiedensten historischen Strömungen antikapitalistischer
Philosophie und
Praxis die Perversität dieses Systems zu erkennen und zu
verurteilen. Sie
reichen von den vielfältigen anarchistischen bis hin zu den
sozialistischen und
kommunistischen Tendenzen. Gleichzeitig bieten uns viele klassische und
moderne
DenkerInnen außergewöhnliche (und heute oft aktualisierte)
Analysen der Natur
sowie der Logik der kapitalistischen Akkumulation. Dieser
intellektuelle
Reichtum steht uns allen zur Verfügung.
Das “starke Modell” verteidigt die
persönliche Autonomi
Wir mussten eine
Klassifizierung
der verschiedenen Interpreta-tionen des Grundeinkommens ausarbeiten, um
einschätzen zu können, ob ein bestimmtes Modell
antikapitalistisch ist oder uns
vielmehr die Unterordnung unter das herrschende Gesellschafts-system
vorschlägt. Heutzutage gibt es eine breite Spannweite von neu
vorgeschlagenen
Formen der Sozialhilfe, die fast alle auf Unterstützung der
Familien beruhen und
oftmals Gegenleistungen einfordern. Die Mehrzahl von ihnen zielt auf
die in
prekären sozialen Verhältnissen lebenden sozialen Gruppen und
sieht
Geldleistungen in einer Höhe vor, die die finanzielle
Bedürftigkeit der
Betroffenen festschreibt
Die zu beurteilenden
Vorschläge
haben wir in “starke” und “schwache” Modelle des Grundeinkommens
eingeteilt.
Die “starken” Modelle bieten eine Gewähr dafür, dass sie
Werkzeuge zum Kampf
gegen den Kapitalismus darstellen. Ihre Umsetzung zielt auf soziale
Gerechtigkeit,
weil es sich um Mechanismen der realen Einkommensumverteilung handelt.
Aber
gleichzeitig verstehen sich diese Modelle auch als antikapitalistisch,
weil sie
es erlauben, den Arbeitsmarkt zu umgehen, der eine der wesentlichen
Säulen der
Beherrschung und Ausbeutung der Bevölkerung darstellt und für
das herrschende
System unverzichtbar ist
Im Spanien hat sich ein
hierarchisch und elitär strukturiertes Netzwerk von NGOs, sozialen
Einrichtungen und politischen Instanzen herausgebildet, welches sich an
rein sozialtechnischen
und systemimmanenten Vorstellungen orientiert, wodurch der
ursprüngliche Inhalt
des Konzeptes Grundeinkommen ausgehöhlt wird. Deshalb bestehen wir
mit
Nachdruck darauf, das Grundeinkommen ausgehend von einer Mobilisierung
der
Betroffenen sowie der sozialen Basisgruppen einzufordern. Wir vertreten
die
Etablierung eines Grundeinkommens, das durch die BürgerInnenschaft
und ihr
bewusstes Engagement erreicht wird – und nicht aufgrund einer
Entscheidung von
oben.
Die wesentlichen strukturellen
Eigenschaften
und Kennzeichen des von uns angestrebten “starken” Modells des
Grundeinkommens,
das zu erreichen wir uns mit diesem Zweiten Manifest individuell
als
Einzelpersonen sowie kollektiv als Organisationen vorgenommen haben,
sind:
- Es hat einen individuellen
Charakter: Erhalten können es ausschließlich
Einzelpersonen und nicht
Familien.
- Es hat einen universellen
Charakter, wobei die doppelte Anforderung erfüllt sein muss,
dass es sowohl
allen Menschen zugute kommt als auch nicht steuerpflichtig sein darf.
- Es ist an keine
Bedingungen geknüpft,
wobei auch hier die doppelte Anforderung erfüllt sein muss, sowohl
unabhängig
vom Einkommensniveau zu sein als auch in keinerlei Beziehung zum
Lohnarbeitsmarkt zu stehen.
- Das finanzielle Minimum des
Grundeinkommens hat sich an der Armutsgrenze zu orientieren - in
unserem Falle
wird diese durch die Hälfte des durchschnittlichen
Pro-Kopf-Einkommens
bestimmt.
- Gerechtigkeit: Jede
Person
erhält exakt den gleichen Betrag an Grundeinkommen.
- Partizipation: Der
Gesamtbetrag
des Grundeinkommens wird in zwei Teile aufgeteilt. Ein Teil wird den
Einzelnen
“auf die Hand” ausgezahlt und der andere Teil geht in einen Fond
für
öffentliche Investitionen in den Bereichen Bildung und Erziehung,
Gesundheit,
Wohnung, öffentlicher Nahverkehr, Umwelt, Projekte mit kollektivem
Charakter,
Alternative Ökonomie.
- Finanzielle Umschichtung:
Das Grundeinkommen ersetzt fast alle übrigen finanziellen
Sozialleistungen:
Renten, Sozialhilfe, finanzielle Beihilfen, Subventionen, usw.
- Das Grundeinkommen bedarf
der Mobilisierung
von unten und der direkten Beteiligung der BürgerInnen und
selbstorganisierten sozialen Basisgruppen.
Die Falle der “schwachen” Modelle
des Grundeinkommens
Wir stellen fest, dass sich
Vorschläge immer weiter ausbreiten, die sich an “schwachen”
Modellen des
Grundeinkommens orientieren. Einige von ihnen könnten bald auch
real umgesetzt
werden, wie es heute schon in der Autonomen Gemeinschaft des
Baskenlandes der
Fall ist. Viele Autonome Gemeinschaften (das entspricht den
Bundesländern in
der BRD, A.d.Ü.) tendieren zur Anwendung des baskischen Modells.
Diese Maßnahme
stellt eine Einkommensbeihilfe dar, die in vielen sozialen Notlagen
vergeben
wird und die in Euskadi den Namen “nicht-steuerpflichtige
Arbeitslosenunterstützung”
trägt.
Die Ausbreitung der “schwachen
Modelle”, welche auch der immer schwammigeren und ungenaueren
Verwendung des
Konzepts des Grundeinkommens geschuldet ist, hat dazu geführt,
dass wir
unbedingt zwischen „dem Grundeinkommen“
im Singular – so wie wir das Konzept von Beginn an gebraucht
haben – und
„den Grundeinkommen“ im Plural zu unterscheiden haben, wobei
sich
letztere auf die aktuell vor allem diskutierten und geplanten Modelle
beziehen.
(Das entspricht in der BRD in etwa der Debatte um Grundeinkommen und
Grundsicherung – Anm. d. Red.)
Wir müssen uns sehr klar
sein
darüber, für welches dieser Modelle wir uns entscheiden und
von welchem Modell
andere ausgehen, wenn sie sich, unter verschiedenen Namen, auf so etwas
wie ein
„Grundeinkommen“ beziehen. Um nicht in die Falle der Ungenauigkeit oder
der
ideologischen Verwirrung zu tappen sollten wir klar zwischen den
Modellen
unterscheiden, zwischen denjenigen, die auf eine reale soziale
Gerechtigkeit
abzielen und eine antikapitalistische Stoßrichtung besitzen, und
denjenigen,
die einen liberalen und rein karitativen Charakter haben.
Die Einführung von
“schwachen”
Modellen kann unserer Überzeugung nach nur als positiv erachtet
werden, wenn
dies einen Schritt hin zur Stärkung des “starken” Modells
darstellt. Sie
sollten einzig und allein akzeptiert werden, wenn sie die folgenden
Minimalbedingungen erfüllen:
·
Das
Grundeinkommen sollte individuell an alle ausgezahlt werden, zumindest
an alle
ab dem 16. Lebensjahr.
·
Es
dürfen keine Gegenleistungen eingefordert werden (Arbeitsleistung,
Weiterbildung, etc.).
·
Der
Mindestbetrag des Grundeinkommens sollte sich an der Armutsgrenze
orientieren
(die Hälfte des durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommens).
·
Die
eingeführten Modelle sollten auch das “starke” Modell anerkennen
und Schritte
zu dessen Umsetzung vorsehen.
Von der Barbarei zur realen
Gemeinschaft der menschliche Spezies
Wenn das “starke”
Grundeinkommensmodell auch wesentlich für die Stärkung der
persönlichen
Autonomie in unserem Leben ist, so vergessen die hier unterzeichnenden
Einzelpersonen und Kollektive doch nicht, dass eine antikapitalistische
Grundeinstellung den notwendigen Bezugspunkt darstellt, an dem sich
auch hier
das Engagement für eine emanzipatorische soziale Transformation zu
orientieren
hat. Der Kapitalismus treibt den Egoismus in den Individuen an und gibt
ihm
einen immer größeren Anreiz. Er verhindert die Entwicklung
der Menschen als
soziale Wesen und zerstört die Bedingungen der Menschlichkeit. Er
zwingt uns in
einem Zustand der Barbarei zu verharren.
Die radikale soziale
Transformation
führt zur wirklichen Eman-zipation der menschlichen Spezies. Sie
bedeutet, dass
die Men-schen sich als soziale Wesen an der Gemeinschaft aller
beteili-gen, um
in einer neuen Gesellschaft zusammenzuleben, in der die Menschheit sich
endlich
als freie entfalten und festigen kann.
Bis dahin werden wir uns
weiterhin
in bestimmten zeitlichen Abständen treffen und austauschen, um
unsere Kämpfe
einzuschätzen und auf den neusten Stand zu bringen, ohne
Parteiparolen, ohne
Hymnen, ohne Riten, ohne feste Strukturen, ohne Hierarchien, ohne Macht
… aber
im Vertrauen darauf, dass wir eines Tagen siegen werden.
Unterzeichnende Gruppen:A
Cova dos Ratos (Vigo), Alternativa
Antimilitarista (Cantabria), Asociación Contra la
Exclusión Social (Murcia),
Asociación Renta Básica (AREBA), Baladre (Estado
español), Berri-Otxoak
(Baracaldo), Centro de Recursos para Asociaciones (Cádiz),
Colectivo Módulo
Azul (Morón de la Frontera), Corcó (Xátiva),
Creación (Morón de la Frontera),
EcoConcern (Barcelona), Izquierda Unida (federaciones de Cuenca y
Extremadura),
Kol.lectiu de Joves de La Coma (Paterna-Valencia), Koordinadora de
Colectivos
del Parke (Alfafar-Valencia), La Lletra A (Xátiva), La Maixanta
(Lleida), Mil Lúas (A
Coruña), Mesa Cívica por la RB de
Catalunya (Barcelona), Oficina EnREDando (Murcia), Plataforma per la
Globalització de les Resistències (Bellpuig-Lleida), Xera
(Asturies), Zambra
(Andalucía)
Zweites Internationales
Treffen für
das BürgerInnenrecht auf ein Grundeinkommen,17. bis 19. September
2004
Museum für
Zeitgenössische Kunst
Barcelona (MACBA)
Weitere Literatur zu den
verschiedenen Modellen des Grundeinkommens in spanischer Sprache:
José Iglesias
Fernández: Las Rentas Básicas: un modelo de
implantación territorial; Verlag El
Viejo Topo, Juni 2003.
Ders.: La cultura de
la rentas básicas, Virus-Verlag, Juli 2004.